Trinkgeld

Lesezeit: 3 Minuten

 Manchmal ist es fast unglaublich … gestern Abend zum Beispiel. Ich, alleine in einem Restaurant. Der erste Gast des Abends. Ich hatte Lust auf Wild. Draussen angeschrieben: Wildspezialitäten. Drinnen sehr rustikal; Steinbock an der Wand, Rehgeweihe und andere Jagdtrophäen. Zwei junge Kellnerinnen. Ich setzte mich an einen Tisch und bald traute sich eine der Damen zu mir und fragte, was ich den gerne hätte. „Ich würde gerne essen“ sagte ich. Sie brachte mir die Karte und fragte, was ich trinken möchte. (Alle nach mir kommenden Gäste wurden gefragt, ob sie gerne einen Aperitif hätten!) Ich bestellte Sauser (Traubensaft im Gärstadium, nur erhältlich kurz nach der Weinernte). 0.3 Liter bestellte ich. Die Antwort der Kellnerin: „Wir haben nur 2er oder 5er!“ Na gut, dachte ich, selber Schuld, dann nehme ich einen 2er … Verkauf du mal weniger. Sie trabte los (naja, traben war bei ihrer Körperfülle vielleicht nicht das richtige Wort, aber so kleinlich will ich mal nicht sein …). Ich sah mir die Speisekarte ausgiebig an und wählte Hirschpfeffer. (Die Jagd wurde auf eine grössere Anzahl Hirsche freigegeben, weil es in Graubünden fast zu viele hat – nun wollte ich mithelfen, diese zu verzehren!) Die Kellnerin stellte meinen Sauser auf den Tisch und nahm meine Bestellung auf. Wenige Augenblicke später stand sie wieder am Tisch, um mir zu sagen, dass Hirschpfeffer gerade ausgegangen wäre … „Dann nehme ich etwas anderes!“ sagte ich und staunte nicht schlecht: Sie holte die Karte ohne spezielle Aufforderung … (eigentlich hätte sie die Karte von Anfang an mitnehmen können …).

Meine nächste Wahl wurde mir dann auch wirklich an den Tisch gebracht. Mit dem Hinweis, der Teller wäre sehr heiss. Ganz vorsichtig fasste ich ihn an, weil ich nicht auf dem Tisch liegen wollte zum essen … wohl aus Sorge um mich hatte sie den Teller extra weit in die Mitte des Tisches gestellt … öhm…der Teller war kalt … dafür verbrannte ich mir die Zunge am Rotkraut … Der Sauser, so viel mir erst jetzt auf, wurde mir in einem 2dl Mineralwasserglas serviert! Mit Valserwasser Aufschrift. Soll mir mal jemand sagen, dass es in diesem Restaurant keine 3er Gläser gibt …

Das Essen schmeckte vorzüglich, das will ich hier schon mal erwähnt haben. Gefragt wurde ich aber nie … alle anderen Gäste wurden permanent gefragt, ob alles in Ordnung sei oder ob es schmecke … Nun viel mir auch auf, dass alle anderen Gäste gefragt wurden, ob sie gerne Salat hätten … ich hätte welchen bestellt … Nüssler mit Speck und Ei … aber ich wurde ja nicht gefragt. Alle anderen Gäste bestellten keinen Salat. Beim Abräumen des Tellers traute sie sich zu fragen, ob ich gerne einen Kaffee hätte … Wer mich kennt, weiss: Sie hätte den Kaffee auch gleich bringen können … Die übrigen Gäste wurden gefragt, ob sie gerne einen Dessert hätten … keiner wollte, ausser einem Mann am Nebentisch. Dieser bestellte das typischste Herbstdessert: Vermicelles. Leider sei dieses gerade ausgegangen, wurde ihm beschieden … er verzichtete …

Und mich liess sie über eine halbe Stunde in Ruhe … Von den anderen Gästen hat niemand einen Dessert genommen – nach dem Hauptgang bezahlten sie und gingen.

Nachdem die Kellnerinnen gegenseitig ihre Handys verglichen hatten und endlich bemerkten, dass ich sie beobachtete, bequemte sich meine Bedienung doch nochmal zu mir.

Ich bestellte die Dessertkarte. Sie war fast ein bisschen sprachlos. Relativ schnell brachte sie mir dann meine Nachspeise. Und gleich nach dem letzten Löffel holte sie das Glas wieder ab … Ich sass nun ohne irgend etwas am Tisch. Kein Leergeschirr, kein Glas, keine Tasse …

Etwas später bestellte ich die Rechnung. Ich war jener Gast, welcher an diesem Abend die grösste Rechnung zu bezahlen hatte – auch ohne Salat … und trotz schlechter Betreuung. Nun, dafür sparte ich mir das Trinkgeld, wie alle anderen Gäste auch ..

.

Teilen:

3 Kommentare

  • Geht in der Schweiz aber auch anders:
    Neben meiner Firma hat vor kurzem der 7. Wirt in 16 Jahren den Betrieb aufgenommen. Wirklich gute italienische Küche, er kocht, sie serviert. Geht’s mal etwas länger, entschuldigen sich beide. Beide fragen, ob es schmeckt. Die Frau bedankt sich sogar beim Abräumen der Teller. Sagt man danke fürs Bringen oder Einschenken, sagt sie erst “Bitte schön” und dann “Danke schön”. Sehr angenehm. Habe ich erwähnt, dass beide aus Ex-Jugoslawien stammen?

  • Aloisia

    Ich glaube nicht dass ich es bis zur Hauptspeise geschafft hätte, so gut kann Essen in keinem Restaurant sein um mir diese Benehmen gefallen zu lassen. “Krieg” wär da bei mir angesagt. LG

  • ghostdog

    Hört sich nach eher lustlosem Service an ;-)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.