Ungeduld

Lesezeit: 2 Minuten

Liebe Freunde, macht euch keine Sorgen, wenn ich mal wieder ein paar Tage verschwunden bin. Ihr kennt das ja. Meine Ungeduld wieder einmal.

Die Geschichte fing ganz harmlos an. Ich fühlte schon anfangs Dezember ein Kribbeln. Ich konnte es kaum erwarten, dass endlich Weihnachten wurde. Im Pyjama mit der Familie unter dem Weihnachtsbaum sitzen und Geschenke auspacken, Kekse essen und Spiele zu spielen. Ich träumte schon lange von der perfekten Weihnachtsfeier. Wie im Film. Ein altes Haus mit Vorgarten und weissem Lattenzaun. Übergrosse Zuckerstangen mit grünen und roten Schleifen verziert, die den Gehweg säumen. Lichterketten in den Büschen, die durch den frischen Neuschnee glitzern. Das knisternde Feuer im Kamin. Und im Wohnzimmer ein Weihnachtsbaum, geschmückt und behängt mit Lametta, Kerzen und alten Glaskugeln. Darunter stapelweise Geschenke in allen Grössen. Genau so sollte es diesmal sein.

Der Monat Dezember schien sich immer mehr in die Länge zu ziehen und meine Ungeduld steigerte sich von Tag zu Tag. Gut, im Nachhinein betrachtet, hätte ich es auch etwas anders angehen können. Aber eben …

Jedenfalls hielt ich es irgendwann nicht mehr aus und ich schlich mich ins Wohnzimmer, während die Familie noch schlief. In meinem Rentierpyjama und meiner roten Zipfelmütze setzte ich mich vor den Weihnachtsbaum und bewunderte ihn eine Weile. Draussen war es immer noch dunkel, der Mond erhellte die verschneite Nacht ein wenig. Schliesslich öffnete ich das erste Paket. Welche Freude! Ich begann sofort mit dem Zusammenbau des neuen Lego-Modelles. Ich war so beschäftigt, dass ich erst gar nicht bemerkte, dass die Kinder hinzugekommen waren. Ich erlaubte ihnen ebenfalls, ihre Geschenke auszupacken. Gut, der Junge muckste etwas herum, die Legos wären seine gewesen, aber ich erinnerte ihn an den eigentlichen Sinn von Weihnachten und deshalb probierte er die Socken an, welche im nächsten Packet zum Vorschein kamen.

Eigentlich hatten wir drei es sehr gemütlich. Irgendwann wurde es draussen heller und das knarren der Treppe deutete darauf hin, dass die Mutter der Kinder auch aufgewacht war.

„Wer sind Sie?“, fauchte sie mich an, „und was tun Sie hier?“

Ich drehte mich um und sah im Augenwinkel den Baseballschläger auf mich zu sausen. Und dann wurde es wieder Dunkel.

Heute wurde ich nun wieder aus der Klinik entlassen. So hatte ich es mir nicht vorgestellt. Ich kann kaum erwarten, bis die nächsten Weihnachten vor der Türe stehen. Dann werde ich es aber noch besser machen. Ich habe es mit meinem Psychiater ausführlich besprochen. Allerdings sind wir uns noch nicht über alle Details einig. Meinen Vorschlag, die Frau im Schlafzimmer einzuschliessen, bevor sie das Fest zerstört, fand er als nicht angemessen. Ich solle mich lieber darauf konzentrieren, Weihnachten in meinem Haus mit meiner Familie zu feiern. Aber so lange mag ich doch gar nicht warten … ihr wisst schon: meine Ungeduld …

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